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Wissenschaft und Spiritualität

Zitat

Ein wissenschaftliches und ein spirituelles Weltbild, so meinen manche Zeitgenossen, schließen sich gegenseitig aus. Dieser Auffassung liegt meist ein verengtes Verständnis  des Begriffs der Wissenschaft zugrunde. Häufig wird dieser oft gleichgesetzt mit der Erforschung der materiellen Welt, den Bodenbeschaffenheiten, den Gesteinen, den Pflanzen, den Tieren und unserer eigenen Körperlichkeit, kurz der Naturwissenschaft. Spiritualität, so meinen die Vertreter dieser Auffassung, habe damit nichts zu tun und dort auch nichts zu suchen. Sie meinen, hier das Gebiet des Wissens zu verlassen und jenes des Glaubens zu betreten, des Glaubens an etwas Übersinnliches oder Religiöses, jedenfalls nicht Greifbares und daher nicht Definierbares. Die Atheisten lehnen die Existenz einer solchen übersinnlichen Welt per se ab, andere halten sie vielleicht für möglich, doch möchten sie bewusst aus ihren (natur)wissenschaftlichen Betrachtungen heraushalten. Immer mehr jedoch setzt sich auch unter Naturwissenschaftlern die Auffassung durch, dass wir mit der bisherigen rein materiell orientierten Sichtweise nicht  mehr weiterkommen.

Für uns nicht wahrnehmbare Phänomene müssen, so erkennen sie zunehmend, in die Erforschung unserer Welt mit einbezogen werden. Je besser unsere Teleskope und unsere Mikroskope werden, je mehr erkennen wir ja schon auf dem physischen Plan, wie begrenzt unsere menschliche Wahrnehmungsfähigkeit doch ist und dass es außerhalb von dieser eingeschränkten Realität noch viel mehr zu geben scheint. Die Technik verstärkt unsere Sinne um ein Vielfaches, so dass auch Kleinstorganismen und tausende von Lichtjahren entfernte Galaxien mit ihrer Hilfe für uns sichtbar werden. Darin sind wir in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten immer besser geworden und natürlich ist dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen, ja wird es vielleicht niemals sein. Es ist ja auch allzu spannend, immer neue Bausteine der Natur zu entdecken! Doch das Entdecken allein befriedigt die wenigsten Wissenschaftler. Sie erforschen nicht nur die Phänomene selbst, sondern auch und gerade ihre physikalischen und chemischen Wirkungsweisen und die dahinter stehenden Gesetzmäßigkeiten. Letztlich suchen sie also nach dem Unsichtbaren, dem Übersinnlichen hinter dem Sinnlichen, der Idee. Haben sie damit nicht schon längst den ersten Schritt in Richtung Spiritualität getan, in der Regel ohne sich dessen bewusst zu sein?

Das Bestreben und die Fähigkeit, uns selbst und unsere Umwelt zu erforschen, gehören also zu unseren großartigen, menschlichen Eigenschaften und es ist gut und richtig, dass wir diesem Drang folgen. Wozu wir unsere Forschungsergebnisse dann verwenden, steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt. Hier gibt es förderliche und weniger förderliche oder sogar schädliche und zerstörerisch wirkende Anwendungsgebiete, also das, was wir als Gut und Böse bezeichnen. Spätestens hier gibt es weitere Berührungspunkte zur Spiritualität. Immer wieder und wieder gilt es zu entscheiden, was ethisch zulässig und moralisch erlaubt sein darf und was nicht! Hiermit sind viele Fragen verbunden, die unser gesamtes Wesen betreffen. Unsere Einbindung in das Weltall können wir dabei nicht einfach ausklammern. Diese Fragen betreffen nicht nur die Forscher selbst, sondern jeden einzelnen Menschen. Jeder von uns wird früher oder später mit  derartigen Fragestellungen konfrontiert. Um hier nur einige Beispiele anzuführen:

Wie sollen wir verfahren, wenn eins unserer lebenswichtigen Organe versagt?
Sollen wir uns auf die Warteliste für eine sogenannte Organspende setzen lassen? Sollen wir selbst uns bereit erklären, unsere Organe an einen Kranken zu spenden? Wie oft sollen wir es zulassen, dass unsere Lungen von Wasser befreit werden, wenn unser Herz diese Arbeit nicht mehr zu leisten vermag?
Wie lange und unter welchen Umständen sollen wir unser Leben verlängern, wenn es auf natürliche Weise längst zu Ende ginge?
Soll es erlaubt sein, Pflanzen, Tiere und möglicherweise uns selbst soweit genetisch zu manipulieren, wie die jeweiligen Entscheidungsträger es gerade für angemessen halten? Gibt es da Grenzen und wo gilt es sie zu ziehen?
Welche Technik soll oder darf einem Menschen implantiert werden und zu welchem Zweck?
Können wir all die sich aus diesen Fragen ergebenden Einzelfälle wirklich gesetzlich oder per Patientenverfügung  regeln oder müssen wir eine Kraft in uns selbst entwickeln, die uns mitteilt, was in genau diesem Fall moralisches Handeln bedeutet?

Diese und tausend ähnliche Fragen beschäftigen die Menschheit nicht erst seit gestern. Mit der Wissenschaft allein werden wir sie nicht lösen können, schon gar nicht mit der Naturwissenschaft. Hier spielen Fragen über das Wesen des Lebens und des Kosmos hinein, die ohne Einbeziehung spiritueller Erwägungen nicht zu beantworten sind. Es reicht nicht aus, zu erforschen, welche Hormone unser Körper wann ausschüttet, welche elektrischen und chemischen Impulse wie funktionieren und welches Medikament welche (Neben-) Wirkungen hat. Wir erkennen immer mehr, dass die vermeintlich herausgefundenen Gesetzmäßigkeiten nicht immer wirksam werden, ja offensichtlich nur in Bezug auf die Natur ihre Gültigkeit haben. Die Tatsache, dass jedes Individuum auf dieselbe Art der Behandlung anders reagiert, deutet unmissverständlich darauf hin, dass eben nicht die Natur alleine wirkt. Offensichtlich gilt es also noch ganz andere Einflussfaktoren zu berücksichtigen als die rein körperlichen. Da liegt die Frage nahe: Welche sind das und wo kommen sie her?

Es wird Zeit, dass wir endlich erkennen, dass der Mensch weder eine Maschine noch ein höheres Säugetier ist, sondern ein geistiges Wesen, dass er nicht nur nach den Gesetzmäßigkeiten der Natur reagiert und funktioniert, sondern auch denjenigen des Geistes folgt, die uns offensichtlich noch weitestgehend unbekannt sind. Wenn wir uns also selbst verstehen wollen, kommen wir zukünftig nicht darum herum, in gleichem Maße wie die natürliche Welt auch die geistige Welt zu erforschen. Wenn wir nicht gerade hellsichtig sind, was ja heute eher (noch) die Ausnahme darstellt, müssen wir da genauso vorgehen, wie es unsere noch nicht wissenschaftskundigen Vorfahren im Hinblick auf die Logik und die Mathematik gemacht haben. Im 4. bzw. 3. Jahrhundert vor Christus traten mit Aristoteles (ca. 350 v. Chr.) und Euklid (ca. 250 v. Chr.) einzelne Persönlichkeiten auf, die diese für alle späteren als Grundlage dienenden Wissenschaften in die Welt brachten. Lange hat es damals gedauert, bis ihre Erkenntnisse zum Allgemeingut wurden. Wir können nur hoffen, dass es bei der anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, die Rudolf Steiner vor etwa 100 Jahren begründet hat, nicht so lange dauern wird! Man sagt ja, die Zeit sei schnelllebiger geworden und so besteht Hoffnung, dass es diesmal schneller gehen wird.

Auch in Rudolf Steiner haben wir wieder eine Einzelpersönlichkeit als Vorreiter, der die Zeichen der Zeit erkannt hat. Vielleicht war er nicht einmal der einzige, der die notwendige Entwicklungsrichtung erkannte, jedoch besaß niemand sonst die gleichzeitige  Gabe der Hellsichtigkeit und konnte diese systematisch und gemäß der wissenschaftlichen Methodik zur Erforschung der geistigen Welt einsetzen. In diesem Ausmaß ist die Gabe der Hellwahrnehmung bis heute einzigartig geblieben, weshalb wir Rudolf Steiner mit Fug und Recht als eine Ausnahmeerscheinung, ja als einen wahren Eingeweihten, bezeichnen können. Doch was er uns aus seiner geistigen Schau mitteilt, ist für einen jeden von uns gedanklich nachvollziehbar, auch wenn wir selbst (noch) nicht über seine hellseherischen Fähigkeiten verfügen. Wenn wir seine Schriften ernsthaft studieren und uns darüber hinaus auf seine meditativen Übungen einlassen, bekommen wir zudem auch immer mehr Einblicke in die geistige Welt und können nicht nur mit unseren Gedanken sondern bald auch mit unseren Gefühlen einige seiner Erkenntnisse nachvollziehen.

Das, was weiter oben als moralisches Handeln aus einer konkreten Situation heraus angedeutet wurde, bringt Rudolf Steiner bereits in seinem frühen, noch rein philosophischen Werk Philosophie der Freiheit auf den Punkt. Er nennt es Moralische Intuition, aus der die moralische Phantasie und schließlich die moralische Technik erwachsen.  Wir müssen also mehr und mehr die Verantwortung für unser Handeln übernehmen und können immer weniger darauf zurückgreifen, was in ähnlichen Situationen vielleicht schon einmal hilfreich war. Solange wir ausschließlich auf äußere Regeln pochen oder unser Erinnerungs-Archiv zu Rate ziehen, handeln wir aus der Unfreiheit heraus; denn, so Rudolf Steiner: Frei ist der Mensch, insoweit er in jedem Augenblick seines Lebens, sich selbst zu folgen in der Lage ist.

Heute erleben wir, wie sehr sich die Herausforderungen in allen Lebensgebieten zuspitzen und wie sehr wir mit den bisherigen Mitteln an die Grenzen unserer Handlungsfähigkeit gelangen. Als wie unangenehm wir diese Herausforderungen auch immer erleben mögen, wir sollten dabei niemals die große Linie der Menschheitsevolution aus den Augen verlieren; denn der Mensch ist dazu auserkoren, den Kosmos damit zu bereichern, dass er aus seinem freien Willen heraus zu handeln vermag. Diese Freiheit ist untrennbar mit der Verantwortung verbunden, der er sich auch im Hinblick auf eine Wissenschaft stellen muss, die das Materielle und das Natürliche mit Geist zu durchdringen versteht:

Erst dann werden die Menschen auf dem Experimentiertisch lebende Wesen erzeugen, wie sie heute mineralische Produkte herstellen, wenn der Laboratoriumstisch zum Altar und die chemische Verrichtung zu einer Sakramentaren Handlung geworden ist. […] Solange man ins Laboratorium geht und glaubt, dass man mit unheiligen Gefühlen dasselbe tun kann wie mit heiligen, so lange wird man mit dem Willen derjenigen, die in rechter Weise die Entwicklung leiten, niemals im Laboratorium ein lebendiges Wesen erzeugen können. (Rudolf Steiner)

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