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Der Gralsweg

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Der Gralsweg

Viele Erwachte und jene, die sich dafür halten, verlieren sich zurzeit in Spekulationen über die Hintergründe des aktuellen Zeitgeschehens. Analog zu dem Verhalten der Mainstream-Konsumenten, werden sie häufig zu Dauersurfern nach alternativen Berichten, um sich gegenseitig mit Vermutungen oder vermeintlichen Beweisen über das, was hinter den Kulissen geschieht oder geschehen mag, zu überbieten. Das ist eine Falle, in die auch ich immer wieder hineintappe, erwachsen aus dem Wunsch nach Informationen über das, was im Verborgenen geschieht und in welche Richtung uns die agierenden Kräfte führen wollen. Doch letztlich hilft uns dieser ausschließliche Blick ins äußere Geschehen nicht wirklich weiter. Wozu uns diese herausfordernde Zeit vor allem aufruft, ist es doch, inne zu halten und sich bewusst zu fragen, wer bin I-C-H und mit welcher Kraft will ich mich ab jetzt und in der Zukunft verbinden? Was sind dies für Parteien, die dort gerade so heftig miteinander kämpfen? Oder sind es nicht in Wahrheit die widerstrebenden Kräfte in uns? Ist es nicht vielmehr die dritte Kraft, der Christus in uns, mit dem wir uns jetzt verbinden können und dem zu folgen wir jetzt die Chance haben? Seit Jahrhunderten hat es immer wieder Menschen gegeben, die diesen Weg beschritten haben, doch es waren vergleichsweise wenige. Ist jetzt endlich die Zeit gekommen, in der wir dem Ruf nicht mehr ausweichen können, dem Ruf, uns entscheiden zu müssen? Die Ereignisse im außen sind nur ein Gleichnis für die geistigen Kräfte, die mehr denn je an uns zerren und uns unmissverständlich dazu auffordern, unsere Entscheidung zu treffen. Gehören wir weiterhin zu jenen, die Luzifer oder Ahriman huldigen oder sind wir bereit, die Vervollkommnung unseres Menschseins anzustreben? Eine gute Möglichkeit dazu wäre, den Pfad der mittelalterlichen Gralssucher und später der Rosenkreutzer wieder aufzugreifen und diesen in unsere heutige, moderne Zeit hinein weiterzuschreiten.

Die Suche nach dem Gral ist ein uraltes Motiv, das u. a. in der mittelalterlichen Dichtung  Wolfram von Eschenbachs aufgegriffen wurde. Der Held Parzival betritt die Welt zunächst als unschuldiger Narr, gelangt scheinbar mühelos und ohne große Anstrengung zur Gralsburg. Doch es gelingt ihm zunächst nicht, die Krankheit des leidenden Königs Anfortas zu heilen. Vielmehr versäumt er es, die liebevoll mitfühlende Frage zu stellen. So zieht der junge Ritter hinaus ins Leben, wo er Schuld auf sich lädt und noch viele Kämpfe zu bestehen hat, allesamt Kämpfe gegen seine inneren Hemmnisse, die in der wunderbaren Dichtung Wolframs natürlich durch lebende Persönlichkeiten dargestellt werden, ganz so wie wir es auch heute wieder erleben. Jeder einzelne Kampf bringt ihn näher an sein Ziel, die Gralsburg doch noch zu erobern. Auf seinem Weg verliert er niemals seine beiden Ziele aus dem Auge: erstens den kranken König zu erlösen und somit selbst Gralskönig zu werden und zweitens sich wieder mit seiner geliebten Frau Kondwiramurs zu vereinigen. Begünstigt durch dieses aufrechte Streben wird ihm Gnade aus der geistigen Welt zuteil, denn: Wer ewig strebend sich bemüht, den können wir erlösen (Goethe). So stellt er schließlich die erlösende Frage: Oheim, was wirret dir? und wird selbst zum Gralskönig. Auch trifft er nach 5 1/2-jähriger Trennung wieder mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Söhnen zusammen. Der Held hat sein Ziel, die innere Vervollkommnung erreicht.

Etwa zeitgleich mit Wolframs Dichtung wurde um das Jahr 1200 das berühmte Labyrinth erschaffen, das sich bis heute in der Kathedrale von Chartres befindet. Wer es von außen hin zum Mittelpunkt durchschreitet, erlebt die Erfahrung Parzivals, mal meint er ganz schnell zum Mittelpunkt zu gelangen, dann wieder wird er wieder in die Peripherie zurück geführt. Unzählige Pilger sind diesen Weg gegangen, ja tun es bis heute und sie alle erfahren den Weg zu sich selbst, zum heiligen Gral, auf ihre ganz individuelle Art und Weise. Kein Lebensweg gleicht dem anderen und doch haben wir alle dasselbe Ziel. Den Templern ist es gelungen, in der frühgotischen Kathedrale von Chartres einen Tempel, eine Gralsburg in der äußeren Welt zu errichten, die schon in ihren Abmessungen und Größenverhältnisse das Abbild des Menschen darstellt.  Damit wollten sie den Menschen, die dieses Bauwerk betreten, schon den Eindruck dieser erhabenen Erkenntnis ihrer selbst zugänglich machen und erleichtern.

Neben den Templern gab es im Mittelalter viele andere Strömungen, die jenseits der offiziellen Kirche Roms eine ganz andere Art von Christentum vertraten, das spirituelle Christentum oder auch Gralschristentum genannt. Katharer, Bogomilen, Albingenser und bereits im 3. Jahrhundert die Manichäer folgten nicht äußeren Dogmen und den Gesetzen der Kirche, sondern ihren inneren Gesetzen, ihrer moralischen Führung aus dem Herzen und ihrem Gewissen. Sie wussten um das Geheimnis des Christusblutes und wollten freie Menschen sein, die sich selbst gegenüber verpflichtet sind und nicht einer äußeren Autorität. Doch diese Freiheit hat nichts damit zu tun, machen zu können, was einem gerade so in den Sinn kommt, sondern sie erfordert im höchsten Maße Verantwortungsbewusstsein, Einsicht und Reife. Sie setzt das bewusste Beschreiten eines inneren Schulungsweges voraus und ist sich der Tatsache bewusst, dass dieser Weg nicht immer einfach sein wird.

Diese Geistesströmung wurde in späteren Jahrhunderten von einer kleinen Schar Eingeweihter um Christian Rosenkreutz durch die Zeiten tiefster geistiger Dunkelheit bis in unsere heutige Zeit hinübergerettet. Wir bezeichnen das Zeitalter deshalb als dunkel, weil den Menschen seit dem 15. Jahrhundert jeglicher direkter Zugang zur geistigen Welt verloren gegangen war. Es ist das Zeitalter der Aufklärung, in dem die Wissenschaft zur Blüte gelangte, in dem die Menschen die sichtbare Natur erforschen wollten und sich zunehmend ausschließlich auf ihre Sinne und ihren Verstand verließen. Auf diesem Weg drohte ihnen ihre geistige Herkunft vollständig in Vergessenheit zu geraten, hätte es nicht die Rosenkreutzer gegeben, eine Vereinigung von Menschen, die im Geheimen agieren mussten, da die Zeit für ein öffentliches Auftreten noch nicht reif war. Sie beschritten einen modernen Einweihungsweg, der sie äußerlich am normalen menschlichen Leben teilnehmen ließ. Sie gingen ihren Berufen nach, lebten in ihren Familien und versuchten dort ganz praktisch ihre Ideale vom selbstbestimmten, göttlichen Menschen zu verwirklichen. Geistesgrößen wie Lessing und Goethe fühlten sich den Rosenkreutzern verbunden. Bis heute existieren Rosenkreutzerische Vereinigungen, die jedoch nur mehr selten eine Fortsetzung der ursprünglichen Gemeinschaft und ihrer Ideale darstellen. Häufiger wurden sie im Laufe der Zeit von andersgearteten Interessengruppen unterwandert  und verfolgten in Folge eher kontraproduktive Zielsetzungen.

Eine Bewegung, die jedoch unmittelbar an die ursprünglichen Rosenkreutzer anknüpft, ist die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Rudolf Steiner begründete anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. Der große Seher und Eingeweihte Rudolf Steiner transformierte die Werte der Rosenkreutzer in die moderne Zeit und legte die bis dahin okkulten Erkenntnisse offen, machte sie allen Menschen, die sich diesen gegenüber aufnahmebereit erwiesen, zugänglich. Jeder kann heute seine zahlreichen Bücher und Vortragssammlungen erwerben und für sich studieren. Sie können allein über den normalen Menschenverstand aufgenommen werden, die Fähigkeit des Hellsehens ist dafür keine Voraussetzung, wenn diese auch durch das konsequente Studium und die Durchführung der von Steiner empfohlenen Übungen gefördert werden kann.

Wie das Gralschristentum und später die Rosenkreutzerbewegung macht auch die Anthroposophie den freien Menschen zum Zentrum ihrer Betrachtung. Sie möchte ihn dahin führen, dass er aus innerer Erkenntnis heraus und im vollen Bewusstsein moralisch und liebevoll handelt. Das Individuum ist dabei mehr als der auf der Erde wirkende Mensch, es ist das unsterbliche ICH des Menschen, das über dessen physischen Tod hinaus im Geistigen wirkt und seine Erfahrungen in wiederholten Erdenleben zu immer größerer Reife erwachsen lässt. Dabei wirkt es eng zusammen mit den übrigen geistigen Wesen des Kosmos, die weit über ihm stehen und es bei seiner Entwicklung unterstützen. Doch im Unterschied zu diesen können wir Menschen auf der physischen Ebene handeln, jedenfalls so lange wir auf der Erde unter unseres Gleichen leben. Dies ist ein bedeutsamer Vorteil, den wir den übrigen Geistwesen voraushaben, aber selbstverständlich auch eine gewaltige Herausforderung, denn wir können dabei diverse Irrwege beschreiten und auch Fehlentwicklungen heraufbeschwören.

Mehr denn je leben wir heute in herausfordernden Zeiten und mehr denn je ist unsere innere Haltung gegenüber den Veränderungen von entscheidender Bedeutung. Wie gehen wir mit den im Eiltempo auf uns hereinstürzenden Krisen um? Lassen wir uns in Angst versetzen? Verunsichern? Von uns selbst und unserem Entwicklungsweg ablenken? Geraten wir in unkontrollierbare Gefühle wie Wut und lassen uns von Widerständen gegenüber den Herausforderern übermannen? Oder gelingt es uns, aufrecht in unserer Mitte zu bleiben und zu wachen und zu besonnenen Beobachtern und Wächtern des Geschehens zu werden, die sich dort gezielt zu Wort melden, wo sie etwas zum Guten bewirken können? Da wir alle hier sind um zu lernen, wird uns letzteres sicher (noch) nicht immer gelingen. Doch das aufrechte Streben nach Wahrheit, Freiheit und Liebe wird uns unserem Ziel Schritt für Schritt näher bringen.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen angemessenen Umgang mit den momentan doch so heftigen Herausforderungen und die innere Stärke, Ruhe zu bewahren, Ruhe vor dem Sturm und hoffentlich auch während des Sturms. Nutzen wir die Zeit, um uns vorzubereiten auf die Zeit danach und planen wir schon heute die Gestaltung einer neuen Welt, in der die Menschen füreinander sind und nicht einer durch den anderen. Eine Möglichkeit sich aktiv daran zu beteiligen, findet ihr hier: https://sozialedreigliederung.org

 

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